Bürgerversicherung oder neuer Finanzierungsmix? Was die Kandidaten sagen
Bürgerversicherung oder neuer Finanzierungsmix? Was die Kandidaten sagen
SZ Landkreis München, Samstag, 15. Februar 2025
Dass pflegende Angehörige mehr Unterstützung benötigen, ist parteiübergreifender Konsens. Bei der Frage, wie das System Pflege finanziert werden soll, gehen die Meinungen unter den Direktkandidaten der wichtigsten Parteien im Wahlkreis München-Land allerdings auseinander.
Die Direktkandidaten Florian Hahn (CSU), Gerold Otten (AfD), Thomas Klaue (FDP), Otto Bußjäger (FW), Korbinian Rüger (SPD), Katinka Burz (Linke) und Anton Hofreiter (Grüne) skizzieren ihre Agenda zu wichtigen Themenfeldern. Die Bilder zeigen sie von links oben im Uhrzeigersinn.
Landkreis München – Der demografische Wandel ist in der Bundesrepublik längst Realität. Jede fünfte Person in Deutschland ist mittlerweile älter als 66 Jahre. In einer immer älter werdenden Gesellschaft müssen auch immer mehr Menschen im hohen Alter gepflegt werden – zu Hause von den Angehörigen oder in einem Alten- oder Pflegeheim. Die SZ hat die Direktkandidaten der wichtigsten Parteien im Wahlkreis München-Land nach ihren Konzepten für eine bessere Versorgung vor Ort gefragt. Aber auch, wie das System Pflege finanziert werden soll und pflegende Angehörige besser unterstützt werden können.
Kosten senken, um Beiträge zu halten
Florian Hahn (CSU): Eine gute Gesundheits- und Pflegeversorgung ist ein Gebot von Fairness und Verantwortung. Wir wissen: Angehörige brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Das wollen wir durch mehr Vereinfachung mit einem Pflegebudget erreichen, das flexibel für pflegerische Leistungen eingesetzt werden kann. Gleichzeitig darf Pflege kein Armutsrisiko sein. Wir benötigen einen Finanzierungsmix aus gesetzlicher Pflegeversicherung, betrieblicher Mitfinanzierung, Steuermitteln und eigenverantwortlicher Vorsorge, deren steuerliche Absetzbarkeit wir prüfen werden. Im Gesundheitswesen werden wir Kosten senken, um Beitragssätze beherrschbar zu halten und mehr Zeit beim Patienten zu ermöglichen. Dafür werden wir die Chancen der Digitalisierung nutzen.
Eine Bürgerversicherung für eine faire Lastenverteilung
Anton Hofreiter (Grüne): Um eine gerechtere Finanzierung zu erreichen, schlagen wir die Einführung einer Bürgerversicherung vor. Dies würde die finanzielle Basis des Gesundheitssystems verbreitern und zu einer faireren Lastenverteilung führen. Zur besseren Versorgung fordern wir die Stärkung der Primärversorgung, zum Beispiel durch ein Vertragsarztmodell. Pflegende Angehörige benötigen dringend mehr Unterstützung. Wir setzen uns für flexible Arbeitszeitmodelle, verbesserte Beratungsangebote und den Ausbau von Kurzzeitpflegeplätzen ein. Zudem fordern wir die Einführung eines Pflegezeitgeldes, um finanzielle Einbußen durch Pflegetätigkeiten abzufedern. Die bestehende Trennung der Finanzierungssysteme von ambulanter und stationärer Versorgung wollen wir überwinden.
Auch Beamte und Politiker sollen einzahlen
Korbinian Rüger (SPD): Ich fordere eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle einzahlen, auch Beamte und Politiker. Pflegekräfte müssen besser bezahlt werden, und pflegende Angehörige benötigen mehr finanzielle Unterstützung. Pflegeeinrichtungen müssen wohnortnah und bezahlbar sein. Die Gesundheitsversorgung auf dem Land muss durch finanzielle Anreize für Ärzte verbessert werden. Außerdem brauchen wir mehr Fachkräfte: Hier müssen wir erstens sicherstellen, dass alle, die arbeiten wollen, es auch können, zum Beispiel, indem wir für eine bessere Kinderversorgung sorgen. Zweitens müssen wir gezielt Fachkräfte aus dem Ausland anwerben.
Verbesserte stationäre und ambulante Angebote
Gerold Otten (AfD): Die häusliche Pflege muss deutlich höher finanziell honoriert werden. Die Situation der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen wird dadurch erheblich erleichtert. So können es sich mehr Familien leisten, ihre pflegebedürftigen Angehörigen in vertrauter häuslicher Umgebung selbst zu betreuen. Die Unterstützung bei Krankheit oder Urlaubswunsch der pflegenden Angehörigen muss durch verbesserte ambulante und befristete stationäre Angebote ausgeweitet werden. Insgesamt werden so der Pflegebedürftige und pflegende Angehörige bessergestellt und gleichzeitig die Pflegekasse entlastet, da weniger und kürzere Heimbetreuungen anfallen.
Das System auf Effizienz prüfen
Thomas Klaue (FDP): Wir setzen auf ein Primärarztsystem, wobei Haus- und Kinderärzte die erste Anlaufstelle sind, um eine wohnortnahe und qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen. Gleichzeitig müssen wir den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit prüfen. Pflegeanbieter müssen von überflüssiger Bürokratie entlastet, Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegekräfte deutlich vereinfacht werden. Pflegende Angehörige müssen steuerlich entlastet und durch flexiblere Arbeitszeitmodelle unterstützt werden. Wir bauen auf ein Dreisäulenmodell zur Finanzierung der Pflege: Die umlagefinanzierte Pflegeversicherung als Basis ergänzt um eine kapitalgedeckte Säule zur Stabilisierung der Beitragssätze und einen privaten oder betrieblichen Pflegebaustein.
Faire Löhne für Pflegekräfte
Katinka Burz (Die Linke): Erstens: Solidarische Pflegeversicherung. Wir brauchen ein System, das auf alle Schultern verteilt wird, nicht nur auf den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Pflege muss gut finanziert sein, und Pflegekräfte verdienen faire Löhne. Zweitens: Bessere Versorgung vor Ort – egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Wir müssen ambulante Pflege und digitale Lösungen ausbauen. Drittens: Unterstützung für pflegende Angehörige. Wir benötigen mehr Entlastungsangebote, Pflegeberatung und eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Viertens: Bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte und eine höhere Anerkennung, faire Bezahlung und bessere Ausbildung. Kurz gesagt: Wir brauchen ein solidarisches, gerechtes System.
Steuerzuschuss unumgänglich
Otto Bußjäger (Freie Wähler): Eine wohnortnahe Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau mit Haus- und Fachärzten, Krankenhäusern, medizinische Versorgungszentren, Pflegestützpunkten, Apotheken, Hebammen und Gesundheitsangeboten muss auch in Zukunft sichergestellt werden. Wir müssen an den Patienten denken. Das Geld muss in die Menschen investiert werden und nicht in komplizierte und kostenintensive Systeme der Krankenkassen oder der Pharmaindustrien. Um einen verbindlichen, dynamischen Steuerzuschuss wird man beim Kranken- und Pflegekassensystem nicht herumkommen. Über die Reduzierung von Krankenkassen und entsprechenden Ausgleichsleistungen muss man nachdenken.
Die SZ hat zur Bundestagswahl die Direktkandidatinnen und -kandidaten der großen Parteien nach ihren Lösungsvorschlägen zu den großen aktuellen Herausforderungen gefragt. Die Antworten zu allen Fragen und Themen finden sie hier.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/bundestagswahl-altwerden-pflege-direktkandidaten-landkreis-muenchen-li.3200366